Punkte und Linien

Ein Punkt ist ein ausgesprochen wichtiges Stilmittel, um das Auge des Betrachters zu fesseln. Mit Punkt ist ein kleines Objekt gemeint, welches in einer Weise augenfällig ist, dass der Blick daran hängenbleibt. Dieser Punkt sollte die Bildaussage unterstreichen oder auf die Spitze treiben, er wirkt so als "Punkt auf dem i" und verursacht einen "Aha-Effekt" beim Betrachter. Ein Punkt kann aber auch störend wirken, wenn er nicht zur Bildaussage passt. Ein solcher Punkt kann z. B. Abfall sein, der auf der Landschaftsaufnahme mit drauf ist, oder auch ein mitvergrössertes Staubkorn. Beim Betrachten des Bildes bleibt das Auge immer wieder daran hängen.
Zwei Punkte sind problematisch. Das Auge wandert von einem zum anderen und kann sich nicht entscheiden. Eine Ausnahme sind die Augen bei Porträtaufnahmen, weil man sich an sie gewöhnt hat. Drei Punkte werden wiederum häufig als harmonisch empfunden, wenn sie ein Dreieck bilden, dessen Kanten nicht parallel zu den Bildrändern verlaufen. Der Mond im Bild ist jedoch zu klein, um als gestalterischer Punkt augenfällig zu sein, die beiden Fenster wirken so unharmonisch und der Mond eher störend.
Eine Linie kann aus mehreren Punkten bestehen, es gibt aber auch Linien, die wirklich Linien sind. Eine gerade Linie wie der Horizont, welche parallel zu einer Bildkante verläuft, teilt das Bild in Flächen. Eine diagonale Linie oder eine S-förmig gekrümmte ist gut geeignet, das Auge des Betrachters in die Tiefe des Raumes zu führen. Allerdings sollte sich dann in der Tiefe des Raumes auch etwas befinden, damit sich das Auge, dort angekommen, nicht fragt, was es da soll.
Eine Linie entsteht auch, wenn zwei Punkte miteinander in Beziehung stehen. Die beiden sich unterhaltenden Hühner stehen durch ihre Blickrichtung in einer solchen Beziehung, die (gedachte) Linie wird Achse genannt. 
Bei der Betrachtung eines Bildes spielen unsere Lesegewohnheiten eine wesentliche Rolle: Analog zum Lesevorgang werden Bilder beim flüchtigen Betrachten von links oben nach rechts unten durchwandert. Eine Diagonale, die von links oben nach rechts unten verläuft, kann so den Blick aufnehmen, während entgegengesetzt verlaufende Diagonalen den Blick bremsen können. Ein Punkt wirkt fesselnd, helle Bildteile werden länger betrachtet als dunkle. So kann eine dunkle Umrahmung einen zu schnellen Austritt aus dem Bild verhindern.


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(c) 1999 by Franz-Manfred Schüngel