Der eigene Stil
von Franz-Manfred Schüngel

Der persönliche Stil gehört zu den vielen Erdengütern, die nur dem zufliessen, der sie nicht sucht.1

Dieses Zitat stammt aus einem Buch, das sich überhaupt nicht mit Fotografie beschäftigt - es geht darin vielmehr um den Umgang mit der deutschen Sprache. Mir sind jedoch zahlreiche Parallelen zwischen dem Weg zum guten Text und dem Weg zum guten Foto aufgefallen. Teilt man die Schritte vom Anfänger zum Meister grob ein, sieht dies etwa so aus:

Im ersten Schritt geht es darum, grobe Gestaltungsfehler und technische Fehler auszumerzen. Durch wenig Aufwand gelangt man so zu Bildern, die nicht mehr verwackelt oder unscharf sind und auf denen der Baum im Hintergrund nicht mehr aus dem Kopf der porträtierten Person wächst. Anstatt für Misserfolge auf das Schicksal zu verweisen ("Das Bild ist nichts geworden"), beginnt man über die Umstände nachzudenken und verbessert sich so Schritt für Schritt ("Das nächste Mal nehme ich ein Stativ mit").

Im zweiten Schritt erlernt man gängige Stilmittel, mit denen bestimmte Wirkungen beim Betrachter erzielt werden können: Durch die Wahl der besten Perspektive, den Einsatz von Farben, die richtige Wahl der Brennweite, die Lage des Horizonts, Gestaltung mittels Vorder- Mittel- und Hintergrund und vielem mehr. Beim Betrachten guter Fotos bewundert man nicht mehr nur das Werk, sondern beginnt zu verstehen, wie es wirkt. Es kann lehrreich sein, gute Bildideen zu kopieren, um zu sehen, wie man selber die Idee umsetzt. Man sollte aber nicht darauf verfallen, auf der Suche nach dem persönlichen Stil allzu einseitig zu werden, da sich dieser irgendwann - wenn man die Fotografie lange genug mit Leidenschaft betreibt - von selbst einstellen wird. Durch stetes Lernen wird man immer ansehlichere Bilder produzieren und fremde Fotos besser einschätzen lernen.
 

Der dritte Schritt ist der Schwierigste. Es ist der Schritt zum meisterhaften Foto, dass sich für Laien wie visuell Geschulte gleichermassen aus der Masse heraushebt. Der Meister entwickelt Feingefühl für Details der Bildgestaltung, er ist zur richtigen Zeit beim richtigen Licht am richtigen Ort, was nicht Zufall, sondern Planung ist. Solche Bilder setzen eine lange, intensive Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie voraus, und sie sind mit viel Arbeit verbunden. Dieser dritte Schritt ist nicht möglich ohne die ersten beiden, und er setzt eine lebenslange Beschäftigung mit der Fotografie voraus.

Der Stil eines Autors ist ein Pferd, das nur einen einzigen Reiter trägt.2

Oh, da geht es ja schon wieder um's Schreiben und nicht um's Bilderknipsen. Entschuldigung, ist mir so rausgerutscht. Allerdings muss es da auch Zusammenhänge geben, ich erstelle ja auch gerade etwas geschriebenes über Fotografie. Hier also noch ein Zitat:

Stil ist richtiges Weglassen des Unwesentlichen.3

Und zum Abschluss noch etwas über Kunst, was auch gut hineinpasst:

Der Inbegriff des Künstlerischen ist Leichtigkeit im Umsetzen einer Idealvorstellung.4
 

Niemand sollte aber deshalb die Fotografie meiden. Viele engagierte Amateurfotografen produzieren hervorragende Fotos, während sie den zweiten Lernschritt absolvieren. Diese Bilder sind Zeugen des persönlichen Fortschritts und somit von hohem ideellen als auch ästhetischem Wert, auch wenn man nie meisterhaftes Niveau erreicht. Bedauerlich ist nur, wenn liebe Mitmenschen mit schlechten Bildern gequält werden, weil sich die Bildproduzenten nicht mit technischen oder gestalterischen Fragestellungen aufhalten wollen, oder aber (noch schlimmer) ihre groben Fehler der Einfachheit halber gleich zu ihrem Stil erklären; dies ist dann häufig noch mit massiver Selbstüberschätzung verbunden.

Noch ein Wort zum Thema Profis: Ein Profi ist nicht jemand, der etwas besonders gut kann, sondern jemand, der mit etwas Geld verdient. Wer aus Freude an der Kunst meisterhafte Bilder produziert, ist kein Profi, der Passbildautomat im Bahnhof hingegen ist einer. Professionelle Kameras zeichnen sich in der Regel durch Robustheit aus, weil sie bei Profis wie Presse- oder Agenturfotografen für Jahre jeden Tag im Einsatz sind. Sie sind unter diesem Aspekt auch für engagierte Amateure interessant. Professionelle Filme haben schliesslich deutlich engere Fertigungstoleranzen als Amateurfilme, sie werden gebraucht, wenn es bei Dokumentationen oder wissenschaftlichen Arbeiten auf Reproduzierbarkeit ankommt. Um die präzise Farbtreue zu bewahren, werden sie mit recht kurzen Verfallsdaten ausgeliefert.

Zitate:
1. Ludwig Reiners: Stilfibel, Deutscher Taschenbuch Verlag München 1963.
2. John Steinbeck
3. Anselm Feuerbach
4. Ansel Adams: Das Positiv


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(c) 1999 by Franz-Manfred Schüngel