Grossformat
von Franz-Manfred Schüngel

Grossformatkameras (oder Fachkameras) sind mechanisch meist relativ einfache Konstruktionen, sodass sie einerseits recht erschwinglich sind, jedoch andererseits ein gewisses Geschick und Zeit in der Handhabung erfordern. Sie bestehen aus zwei Standarten (Halterungen), von denen eine das Objektiv (mit Verschluss) und die andere den Film trägt. Zur Vermeidung von Lichteinfall unter Beibehaltung der Bewegungsmöglichkeiten sind die beiden Standarten mit einem flexiblen Balgen verbunden. So wird ein Verschieben der Standarten zum perspektivischen Entzerren (Shiften) ebenso ermöglicht wie ein Verschwenken zur Änderung der Lage der Schärfeebene im Raum (Schärfedehnung nach Scheimpflug).

Bei Kameras auf Basis einer Optischen Bank sind die Standarten auf einer Schiene befestigt, wobei ein L- oder U-förmiger Bügel oder ein beweglicher Fuss das Verdrehen und Verschieben der Platten erlaubt (L-Bügel-, U-Bügel- und bügellose Kameras). Sie eignen sich insbesondere für Studiozwecke.
 
Die Toyo-View 45 C ist eine typische U-Bügel-Kamera auf Basis einer optischen Bank. 

Bildquelle: toyoview.com

Einfacher zu transportieren, aber teurer sind Laufbodenkameras: Zusammengekappt sind sie kastenförmig. Durch Aufklappen des Laufbodens im rechten Winkel kommt eine Schiene zum Vorschein, auf der die Objektivplatine aus dem Kasteninnern nach vorn verschoben werden kann. Die andere Seite des Kastens bietet dabei die Aufnahme für die Planfilmcassetten. Die Einstellmöglichkeiten sind gegenüber Kameras auf optischer Bank in der Regel eingeschränkt.
 
Die Horseman 45HD ist eine klassische Laufbodenkamera, die sich zum Transport zu einem kompakten Kasten zusammenlegen lässt. 

Bildquelle: horsemanusa.com

Zum Wechsel der Objektive wird an der vorderen Standarte eine Platine ausgetauscht, die jeweils auf eine bestimmte Kameramarke passt. Die Objektive sind meistens mit Verschluss in eine entsprechende Platine eingebaut. Alternativ gibt es Hinterlinsenverschlüsse, die man mit preiswerteren Objektiven ohne Verschluss verwenden kann. Neben der Brennweite ist für den Grossformatfotografen der Bildwinkel des Objektivs bzw. die Grösse des Bildkreises ein wichtiger Wert. Der Begriff "Weitwinkel" wird in diesem Zusammenhang nicht primär für kurze Brennweiten als vielmehr für grosse Bildwinkel gebraucht. So kann ein 150 mm-Objektiv einen Bildkreis auszeichnen, der für das Format 9x12 cm ausreicht, während ein 150 mm-Weitwinkel einen grösseren Bildkreis auszeichnet. Der Abbildungsmassstab ist identisch, aber durch den grösseren Bildkreis bleiben die Verstellmöglichkeiten erhalten. Der Bildkreis des Objektivs muss mindestens das Format abdecken, wenn er grösser ist, sind noch Reserven für Kameraverstellungen vorhanden.
 

Bei grösseren Aufnahmeformaten müssen für den gleichen Bildwinkel natürlich längere Brennweiten eingesetzt werden. Folgende Aufstellung kann beim Vergleich der Brennweiten mit Kleinbild-Objektiven helfen:
 

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Die Scharfeinstellung erfolgt bei Fachkameras durch Abstandsänderung der Standarten. Entspricht der Abstand der Brennweite, ist auf unendlich scharfgestellt. Ein Scharfstellen auf näher gelegene Objekte erfordert einen grösseren Abstand, wobei die Länge des Balgens oder der Bank den maximalen Abbildungsmassstab limitiert. Entspricht der Abstand der Standarten der doppelten Brennweite, ist der Abbildungsmassstab 1:1. Diese Möglichkeit ist bei Kameras mit "doppeltem Auszug" gemeint und auf eine Standardbrennweite bezogen. Der Einsatz einer Balgenverlängerung ist bei den meisten Kameras möglich. Ein umgekehrtes Problem kann sich beim Einsatz von Objektiven kurzer Brennweiten stellen: Durch den engen Abstand der Standarten und die geringe Flexibilität des zusammengeschobenen Balgens können die Einstellmöglichkeiten behindert werden. Für diesen Einsatzzweck gibt es kurze, sehr flexible Weitwinkelbalgen.
 

Die Belichtungsmessung kann auf oder vor der Mattscheibe mit speziellen Sonden erfolgen (TTL-Messung). Hat man lediglich einen Handbelichtungsmesser (oder eine andere Kamera) zur Verfügung, muss man Verlängerungsfaktoren durch Filter und den Balgenauszug berücksichtigen. Auf Filtern ist der Verlängerungsfaktor in der Regel eingraviert, ein Faktor von 2 bedeutet, dass die Belichtungszeit verdoppelt oder die Blende eine Stufe geöffnet werden muss. Den Verlängerungsfaktor für den Balgenauszug erhält man, wenn man das Quadrat des Balgenauszugs durch das Quadrat der Brennweite teilt. Ist der Balgenauszug gleich der Brennweite, also bei Scharfeinstellung auf Unendlich, ist der Verlängerungsfaktor 1 (keine Belichtungsverlängerung). Mit zunehmenden Balgenauszug wird er dann immer grösser. Um ihn zu bestimmen, gibt es mehrere Möglichkeiten:
 

Durch Ausmessen des Abstands der Standarten (genauer: Filmebene bis optische Mitte des Objektivs) und Berechnen mit nebenstehender Formel erhält man den Verlängerungsfaktor. 
Man kann sich auch ein Massband mit Verlängerungsfaktoren basteln und spart sich in Zukunft die Rechnerei, dieses Massband gilt dann aber immer nur für eine bestimmte Brennweite.
Mit einer Rechenscheibe, die man sich hier herunterladen oder ausdrucken kann, spart man sich die Berechnung mit Hilfe der Formel. Die Brennweite wird auf den Balgenauszug gestellt, der Verlängerungsfaktor kann direkt abgelesen werden.
Mit der QuickDisc von Philipp Salzgeber kann der Verlängerungsfaktor elegant bestimmt werden, indem die Scheibe in der Schärfenebene platziert und der Durchmesser des Bildes auf der Mattscheibe mit der Skala bestimmt wird. Die Skala liefert direkt den Verlängerungsfaktor unabhängig von der Brennweite.

Zur Einstellung der Schärfe und des Ausschnitts ist die hintere Standarte mit einer Mattscheibe ausgerüstet, auf dieser kann dann bei geöffnetem Verschluss die Scharfeinstellung und gegebenenfalls die Belichtungsmessung erfolgen. Bei Tageslicht wird dabei normalerweise ein schwarzes Tuch übergehängt, um das Mattscheibenbild besser beurteilen und fehlerfrei messen zu können. Die Mattscheibe macht aus einem einfallenden Lichtstrahl ein Strahlenbüschel, dessen maximale Helligkeit in der verlängerten Richtung des Lichtstrahls liegt  und dessen Helligkeit nach aussen (mit zunehmend abweichendem Winkel) abnimmt. Wie stark die Helligkeit dabei mit gegebenem Winkel abnimmt, hängt davon ab, wie stark sie streut. Eine möglichst helle Mattscheibe streut möglichst wenig, dabei ist dann aber auch folgender Effekt am stärksten: Ist das Auge in einer Linie mit der Mitte der Mattscheibe und dem Objektiv, liegt das Auge im Bereich maximaler Helligkeit für das Lichtbüschel der Bildmitte. Die Lichtstrahlen für die Bildecke treffen jedoch schräg auf. Um die Bildecke hell zu sehen, muss der Betrachter sich so weit bewegen, dass Auge, Bildecke und Objektiv in eine Linie kommen. Nie kann er aber so das ganze Bild hell sehen.
Zur Erzielung eines helleren Mattscheibenbildes gibt es sogenannte Fresnelscheiben im Zubehör. Eine Fresnellinse als einfache Sammellinse bricht die randnahen Strahlenbüschel in Richtung des Betrachters, und das gesamte Bild wird hell wahrgenommen. Es geht dabei nur um das Sucherbild, dem Film ist es egal, ob die Lichtstrahlen gerade oder schräg auftreffen. Wie gut das ganze funktioniert, hängt natürlich von der Brennweite des Objektivs und vom Betrachtungsabstand ab. Es gibt daher auch stärker brechende Fresnelscheiben für besonders kurzbrennweitige Objektive.

Nach erfolgter Einstellung von Schärfe und Belichtung wird der Verschluss geschlossen, eine Planfilmkassette eingesetzt, der Schieber herausgezogen und der Film belichtet. Da der Mattscheibenrahmen mit Federn an die hintere Standarte gedrückt wird und die Kassette zwischen Mattscheibenrahmen und Standarte eingeschoben wird, kommt der Film exakt an die Stelle zu liegen, an der die Mattscheibe war und auf die die Schärfe justiert ist. Anschliessend steckt man den Schieber andersherum wieder herein. Durch die andere Farbe der Schieberrückseite wird erkennbar, dass der Film belichtet ist. Normalerweise zeigt die weisse Seite nach aussen, wenn der Film unbelichtet ist, und die schwarze, wenn der Film belichtet oder die Kassette leer ist.

Statt der Planfilmcassetten können auch Rollfilm-Rückteile eingesetzt werden, die die Belichtung von 6x9-Bildern auf 120er oder 220er Rollfilm ermöglichen. Weiterhin gibt es auch Cassetten für Packfilme sowie Sofortbild- und Digitalrückteile (CCD und Zeilenscanner). Die Grafik zeigt die Filmflächen der gebräuchlichsten Planfilmformate im Vergleich.
 

Planfilmcassetten müssen in völliger Dunkelheit mit Film geladen werden. Damit man auch im Dunkeln die Schichtseite erkennt, ist der Film mit Kerben markiert: Befinden sich die Kerben wie auf dem Bild an der Oberkante rechts, würde man die Schichtseite anschauen, wenn man im Dunkeln etwas sehen könnte. Den Schieber nur zu einem Drittel öffnen - dann muss man ihn nicht in der Dunkelheit reinfummeln - und so einsetzen, dass die weisse Seite nach aussen zeigt. So unterscheidet man geladene Cassetten von leeren oder belichteten.

Der entscheidende Vorteil von Fachkameras ergibt sich neben der grossen Film- oder Scanfläche aus den Verschiebe- und Verschwenkmöglichkeiten von Film und Objektiv, wodurch perspektivisches Entzerren und Schärfedehnung nach Scheimpflug möglich wird. Ausserdem ist durch den zumeist modularen Aufbau der Systeme mit beliebig austauschbaren Komponenten ein Abstimmen auf sehr spezielle Bedingungen möglich.
 

Es gibt zumeist mehrere Wege, die zu einer korrekten Kameraeinstellung führen. So kann zur perspektivisch entzerrten Wiedergabe eines erhöhten Gegenstandes (z.B. eines Gebäudes) die Kamera gerade aufgestellt werden, der Ausschnitt wird dann durch Parallelverschiebung der Frontstandarte eingestellt (direkte Einstellung). Bei der indirekten Einstellung wird zunächst der Ausschnitt durch Kippen der Kamera bestimmt, anschliessend werden die Standarten senkrecht gestellt. Bei beiden Methoden ist eine Wasserwaage sehr nützlich.
L- und U-Bügel-Kameras erlauben bei der Verschwenkung ein Schwenken um die Objektivachse, man spricht von Zentralschwenkung. Die Schärfeebene verlagert sich beim Schwenken in der Bildmitte nicht. Bei einer Basisschwenkung am Fuss verlängert sich hingegen der Balgenauszug, es muss nachfokussiert werden.
Dies trifft jedoch nicht zu, wenn man beide Standarten gleichermassen schwenkt, wie hier bei der indirekten Parallelverschiebung. Wenn man bei einer L- oder U-Bügel-Kamera nun noch zusätzlich einen seitlichen Schwenk vollführt, bleibt aufgrund der schräggestellten Rotationsachse die Frontstandarte nicht senkrecht, sie torkelt. Dies macht ein Nachstellen erforderlich. Bei der Kamera mit Basisschwenkung sitzt das Gelenk für den seitlichen Schwenk oberhalb des Basisgelenks, die Standarte bleibt senkrecht (torkelfreie Konstruktion).
Es gibt Kameras, die sowohl Basis- als auch Zentralschwenkung bieten, sodass man die Wahl hat, mit welchem Problem man sich herumschlagen mag. Weiterhin gibt es Kameras, die an der Basis über runde Kulissen geschwenkt werden, die die Standarte auch um die optische Mitte bewegen. Diese Kameras sind sehr gut handzuhaben, jedoch aufgrund der Mechanik vergleichsweise teuer und schwer.

Der Eigenbau von Grossformatkameras ist durchaus möglich, alle Einzelkomponenten wie Objektive für verschiedene Bildkreise und mit eingebauten Verschlüssen sind auf dem Markt erhältlich. Da die Hersteller in diesem Segment genaue Spezifikationen zu ihren Produkten angeben, kann für jedes Projekt etwas Passendes herausgesucht werden.

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