Weitwinkelobjektive
von Franz-Manfred Schüngel

Weitwinkelobjektive sind Objektive, die einen grösseren Bildwinkel haben, als dem normalen menschlichen Sehfeld entspricht (mehr als etwa 60°). Für Kleinbild sind das Brennweiten von unter 40 mm.

Bei den meisten Objektiven dieses Typs handelt es sich um korrigierte oder rectilineare Weitwinkel, das heisst, die Optik ist so konstruiert, dass gerade Linien auch als gerade Linien wiedergegeben werden. Ein klassischer Effekt dieser Objektive ist die starke Betonung des Vordergrunds. Die Bilder wirken auf den ersten Blick unverzerrt, doch bestimmte Merkmale lassen sich konstruktiv nicht verhindern: So wird die Lichtmenge, die auf den Film trifft, zur Bildecke hin geringer (Vignettierung), und ausserhalb der Bildmitte befindliche Kreise werden zur Ecke hin eiförmig verzerrt wiedergegeben.
 

Rectineares Weitwinkel (17 mm)
- gerade Linien
- verzerrte Kreise
- Helligkeitsabfall zur Bildecke
Vollformat-Fisheye (16 mm)
- gebogene Linien
- Kreise/Ovale nicht verzerrt
- grösserer Bildwinkel

Eine Besonderheit sind Fisheye-Objektive (Fischaugen). Sie sind so konstruiert, dass die Bildpunkte so auf den Film projiziert werden, dass ihr Abstand von der Bildmitte direkt proportional zum Bildwinkel ist:
 

Dadurch gibt es keinen Helligkeitsabfall zum Rand hin und Kreise bleiben ebenfalls exakt kreisförmig, jedoch werden gerade Linien, die nicht durch die Bildmitte laufen, zum Rand hin stark gekrümmt (tonnenförmige Verzeichnung). Das Resultat entspricht dem Blick in eine verspiegelte Weihnachtsbaumkugel.
 

Vollformat-Fisheye
Teilformat-Fisheye

Es gibt im Wesentlichen zwei Versionen von Fisheye-Objektiven: Teilformat-Fisheyes (rund 8 mm Brennweite bei Kleinbild) zeichnen nur einen Kreis mit 180° Bildwinkel aus. Sie sind seltener und teurer, der Effekt ist sehr deutlich mit einer entsprechend hohen Gefahr der Abnutzung.
Vollformat-Fisheyes (rund 16 mm Brennweite bei Kleinbild) nutzen das ganze Filmformat. Der Unterschied zum rectilinearen Weitwinkel ist nur augenfällig, wenn gerade Linien vorhanden sind, die nicht durch die Bildmitte laufen. Fisheyes sind optisch einfacher zu konstruieren als korrigierte Weitwinkelobjektive, dies macht sie preiswerter und unanfälliger gegen extreme optische Situationen wie die Abbildung der Sonne in einer Bildecke. Die Brennweite gibt lediglich Auskunft über die Grösse der Abbildung von Gegenständen in der Bildmitte, da sie sich zum Bildkreisrand hin auf theoretische 0 mm verkürzt. Der Bildwinkel beträgt meistens 180°. Da Objekte zum Rand hin kleiner dargestellt werden, ist die Vordergrunddominanz im Gegensatz zu korrigierten Weitwinkelobjektiven nicht ausgeprägt.

Warum ist es nicht möglich, Verzerrungen bei der Konstruktion von Weitwinkelobjektiven grundsätzlich zu vermeiden?

Der Grund liegt darin, dass die fertigen Bilder aus dem "falschen" Abstand betrachtet werden. Eine realistische Wiedergabe erhält man, wenn man die Bilder schön gross abzieht und so nahe herangeht, dass das Bild vom Standpunkt des Betrachters den gleichen Bildwinkel ausfüllt, den das Objektiv bei der Aufnahme aufgezeichnet hat:
 

Schaut der Betrachter in Richtung Bildecke, betrachtet er diese in einem recht flachen Winkel - und die eiförmig verzerrten Kreise erscheinen wieder schön rund.

Eine ebenso korrekte Darstellung erhält man von einem Bild, welches mit einem Fisheye-Objektiv aufgenommen wurde, wenn man es als Halbkugel abzieht und sich in die Kugelmitte stellt:
 

Aus dieser Perspektive sehen dann auch die gebogenen Linien wieder gerade aus.

So wird auch deutlich, warum wir Bilder von Fisheye-Objektiven eher als verzerrt wahrnehmen als Bilder von rectilinearen Superweitwinkeln: Die Bilder, die wir vom Labor kommen, sind nun mal flach und nicht kugelförmig, aus Gründen, die das Labor bestimmt gerne erklärt.

Ein grosses Problem bei der Konstruktion von Weitwinkelobjektiven ist die Kamera: Um Platz für den Spiegel zu lassen, ist ein bestimmter Abstand zwischen der Objektivrückseite und der Filmebene notwendig (die Schnittweite). Diese ist bei Weitwinkelobjektiven meist grösser als die Brennweite, sodass eine spezielle Konstruktion notwendig ist. Dabei wird hinter das Streuglied noch ein Sammelglied geschaltet, sodass das Bild erst weit hinter dem Objektiv entsteht. Diese Retrofokuskonstruktion ist sozusagen die Umkehr der Telekonstruktion, die es durch ein nachgeschaltetes Streuglied erlaubt, Objektive zu bauen, deren Baulänge deutlich geringer ist als die Brennweite.

Eine Besonderheit ist noch die zylindrische Perspektive, bei der man ein Bild zum "richtigen" Betrachten durchbiegen muss, bis hin zum 360°-Panorama. Diese Perspektive wird mit speziellen Panoramakameras erzielt, die durch ein rotierendes Objektiv oder eine rotierende Kamera einen wandernden senkrechten Streifen auf den Film belichten. Gescannte oder digital aufgenommene Bilder lassen sich mit spezieller Software in zylindrische Perspektive umrechnen und nahtlos zusammenfügen.

Schliesslich sollen noch die Konverter erwähnt werden, die vor Normal- oder Weitwinkelobjektive geschraubt werden und den Bildwinkel vergrössern. Um die grauenhafte Verzeichnung zu entschuldigen, werden sie Fisheye-Konverter genannt. Sie sind sehr billig und als netter Effekt gedacht, zu mehr sind sie wegen der geringen optischen Qualität auch nicht zu gebrauchen.


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(c) 2002 by Franz-Manfred Schüngel