Sucherkameras
von Franz-Manfred Schüngel

Sucherkameras sind, an den Verkaufszahlen gemessen, wohl die beliebtesten Kameras überhaupt. Dies hat durchaus seine Gründe, denn sie sind klein, leicht, billig und häufig auch qualitativ recht gut. Entgegen der landläufigen Meinung, nur mit einer riesigen Spiegelreflex-Ausrüstung ernsthaft fotografieren zu können, kann man mit ihnen auch durchaus künstlerisch-kreativ tätig werden, wenn man sich durch die einfache Bedienung nicht zum knipsen verleiten lässt oder von vornherein zu knipsen vorhat. Faktisch kommt niemand, der beispielsweise seinen Urlaub dokumentieren möchte, um eine kleine Sucherkamera herum, da man sie wirklich immer dabeihaben kann. Und schliesslich ist die mieseste Einwegkamera, die man dabeihat, besser als die teure umfangreiche Kameraausrüstung, die man aus Platz-, Gewichts- oder Diebstahlsgefahrgründen zu Hause gelassen hat. Die Auswahl ist sehr gross, es gibt sehr billige Kameras und sehr teure Edelkompakte, vollautomatische ebenso wie vollmanuelle. Am häufigsten trifft man jedoch Vollautomaten, was leider Kameras mit manuellen Einstellmöglichkeiten wegen der kleineren Stückzahlen verhältnismässig teuer macht.

Technisch zeichnet sich eine Sucherkamera durch einen Sucher zum Ausrichten der Kamera aus, welcher von der Aufnahmeoptik (Objektiv) unabhängig ist. Dieser Sucher reicht vom einfachen Plastikrahmen bei Einwegkameras bis zu ausgefeilten optischen Systemen. Der wichtigste Nachteil der Sucherkameras ist, dass man die Objektive nicht wechseln kann. Es gibt zwar Systemsucherkameras, die das erlauben, diese sind jedoch in Gewicht und Preis eher mit Spiegelreflexkameras vergleichbar. Ein weiterer Nachteil ist, dass der Sucher neben dem Objektiv (ausserhalb der optischen Achse) sitzt. Dadurch besteht die Gefahr, unbemerkt vor das Objektiv ragende Gegenstände (Finger sind sehr beliebt) mit abzubilden. Dem lässt sich am besten durch eine gute Kamerahaltung begegnen.Weiterhin ist der Blickwinkel auf das Motiv geringfügig anders, man bezeichnet dies als Parallaxe. Der Effekt ist um so stärker, je näher das Motiv an der Kamera ist. Die meisten Sucherkameras besitzen daher im Sucher Parallaxenmarkierungen, die anzeigen, wie der Ausschnitt beim minimalen Aufnahmeabstand der Kamera zu verändern ist.
 

Bei weit entfernten Motiven ist der gesamte Motivrahmen massgebend, während im Nahbereich der Bildausschnitt durch die Parallaxenmarken näherungsweise begrenzt wird. Die Bilder von Schloss Neuschwanstein und einem davor spriessenden Gänseblümchen (bellis perennis) veranschaulichen dies durch realistische Illustration.

Wie bei anderen Kameras wird die Qualität der Bilder bei Sucherkameras in erster Linie vom Objektiv bedingt. Da keine Möglichkeit zum Objektivwechsel besteht, legt man sich gleich beim Kauf der Kamera fest. Die gängigsten Varianten sind Festbrennweiten mit rund 35 mm Brennweite, was einem leichten Weitwinkel entspricht, oder ein Zoomobjektiv. Die Weitwinkelkonstruktion muss bei einer Sucherkamera keinen Spiegelkasten berücksichtigen, was sie einfacher und damit billiger macht. Zoomobjektive fallen hingegen aufgrund des beschränkten Platzangebots sehr lichtschwach aus, insbesondere zur längeren Brennweite hin. Ein kleiner Zoombereich von beispielsweise 35-70 mm macht kaum diesen Nachteil wett, da die längere Brennweite gerade einem 50%-Ausschnitt der 35 mm-Aufnahme entspricht. Neben dem höheren Preis für Zoomkompakte führt die schlechtere Abbildungsqualität von Zoomobjektiven dazu, dass die Festbrennweite in vielen Fällen die bessere Wahl ist.

Zur Scharfeinstellung gibt es verschiedene Hilfsmittel, da die Schärfe im Sucher nicht direkt beurteilt werden kann: Bei Fixfokus-Kameras ist keine Scharfeinstellung nötig, weil durch das Einstellen eines festen Aufnahmeabstands der Aufnahmebereich immer im Bereich der Schärfentiefe liegt. Vorteilhaft ist, dass man sich nicht um die Fokussierung kümmern muss und der geringe Preis. Nachteil ist die geringe Bildqualität in Zusammenhang mit lichtschwachen Objektiven, ausserdem bemerkt man das Unterschreiten des minimalen Aufnahmeabstands nicht. Autofokus erspart ebenfalls das Scharfstellen, mit Hilfe der Reflektion eines Infrarotstrahls (Aktiv-Autofokus) wird über die Parallaxe (s.o.) von der Kameraelektronik die passendste Entfernungsstufe gewählt. Die Qualität dieser Fokussierung hängt unter anderem von der Zahl der Stufen ab, ein 2-stufiger Autofokus ist nahezu unbrauchbar, während einer mit 150 Stufen bereits mit stufenlosen Passiv-Autofokus-Systemen vergleichbar ist. Autofokus ist durch weite Verbreitung so billig geworden, dass er schon fast zum Standard gehört. Nachteil ist jedoch, dass einerseits nicht manuell ein Zwischenwert eingestellt werden kann (um z.B. Vorder- und Hintergrund bei kleiner Blende scharf abzubilden), andererseits kann es zu Fehlfokussierungen kommen, wenn der Infrarotstrahl von einer Glasscheibe reflektiert wird. Ein Unterschreiten der Naheinstellgrenze wird in der Regel angezeigt. Bei manueller Einstellung wird die Entfernung auf einer Skala eingestellt. Vorteil ist die fotografische Freiheit, Nachteil, dass man die Entfernung schätzen oder einen separaten Entfernungsmesser mitführen muss. Oft findet sich jedoch die Kombination mit einem Mischbild-Entfernungsmesser, der die Scharfeinstellung im Sucher erlaubt. In der Suchermitte befindet sich ein heller Fleck, da dort das Bild durch ein Spiegelsystem aus dem Sucherbild und aus Licht aus einem separaten Fenster neben dem Sucher gemischt wird. Durch die Parallaxe sieht man in der Bildmitte senkrechte Strukturen doppelt, wenn das Objektiv nicht scharfgestellt ist. Durch die Fokussierung, die mit dem Objektiv und dem zweiten, drehbaren Spiegel gekoppelt ist, bringt man die Strukturen zur Deckung und stellt das Objektiv scharf.
 

Der helle Fleck ist insbesondere für Anfänger deutlich schlechter zu sehen als etwa die Scharfeinstellhilfen bei Spiegelreflexkameras. Beim Gebrauch der Kamera merkt man jedoch schnell, dass beim Bewegen der Scharfeinstellung der sich nun auch bewegende helle Fleck vor dem sonst ruhenden Sucherbild schnell zu erkennen ist, so kann man mit ein wenig Übung die Schärfe schnell "einpendeln".


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(c) 1999 by Franz-Manfred Schüngel